Lagerbestände optimieren

Erfahrungen aus der Praxis eines Einkaufsberaters

Wer einkauft muss auch lagern. Der moderne Einkäufer ist Schnittstelle im Unternehmen, die Lagerpraxis sollte er daher im Blick haben. Gedanken zu Lagermanagement und –optimierung.

Datenbasis schaffen

Voraussetzung zur Optimierung der Belieferungen ist eine gute Datenbasis. Leider zeigt die Erfahrung, dass die meisten Ausgangssituationen durch eine unzureichende Datenbasis gekennzeichnet sind. Ein häufiges Problem scheint hier die Differenzierung der Lagerbestandswerte zwischen den Einkaufsartikeln, Handelswaren, Halbfertig- und Fertigwaren zu sein. Dies erschwert naturgemäß die Standortbestimmung.

Hinzu kommt oftmals eine aus Einkaufssicht nicht zufriedenstellende Bedarfsplanung. Doch darf man sich hier keinen Illusionen hingeben: Dies ist dann auch meist die schwierigste Schnittstelle, aus der der Einkauf seine Informationen bezieht. Gleichzeitig darf sie nicht als Ausrede benutzt werden. Ziel ist es vielmehr, das Beste aus dem zu machen, was man bekommen kann.

Ob mit oder ohne integriertem ERP-System: Die Datenbasis muss bis zu einem gewissen Grad aussagefähig und belastbar sein. Ohne Frage lohnt es sich, hier zunächst ein bisschen mehr Arbeit in die Aufbereitung und Klärung der Datenbasis, und hier insbesondere in die Systematik zu stecken. Leider werden Sie sich hier selten Freunde machen: Sie sind auf Daten und Informationen aus anderen Bereichen angewiesen, die diese auch nicht so einfach in der Schublade liegen haben. Aber Obacht! Auch hier gilt die 80:20 Regel: Mit 20% Aufwand kann häufig schon 80% Ergebnisverbesserung erzielt werden und das reicht an dieser Stelle für die Datenbasis meist schon. Die letzten 20% bringen selten einen wirklich signifikanten Erkenntniszugewinn.

Lagerbestände optimieren

Lagerbestände optimieren

Optimierung der Lagerbestände

Ist die Datenbasis geschaffen, geht es an die Optimierung der Lagerbestände. Klassischerweise denkt man hier als Erstes an Systeme wie z.B. FiT, Kanban oder Konsignationsläger. Dies sind im Einzelfall sicher gute und probate Lösungsansätze, die aber einen gewissen Aufwand in der Implementierung bedeuten. Zwei weitere Möglichkeiten möchte ich hier in den Fokus nehmen: „Proaktive Bestellmengendisposition“ und „Lieferpläne“ mit und ohne Forecasts.

Proaktive Bestellmengendisposition

Die „Proaktive Bestellmengendisposition“ ist zwar im Prinzip eine Vorgehensweise im operativen Einkauf, bedarf jedoch zur erfolgreichen Umsetzung einer gewissen strategischen Vorarbeit. Viele „Vertriebler“ der Lieferanten haben großes Interesse daran, einfache und „harte“ Bestellungen über eine möglichst hohe Stückzahl zu erhalten. Dementsprechend fallen die Angebote aus. Hier wird häufig 1:1 angeboten, bestellt und geliefert. Ziel sollte es jedoch sein, optimierte Lieferlosgrößen zu vereinbaren. Der Weg dahin führt über die Identifizierung der tatsächlichen Kostentreiber (Material, Rüstkostenanteil, Logistik) der Artikel. Damit kann dann zwischen Fertigungs-, bzw. Bestelllosgrößen, die von den Rüstkosten, und den Lieferlosgrößen, die von den logistischen Anforderungen determiniert sind, unterschieden werden. Somit hat der operative Einkauf die Möglichkeit mit den auf VPE’s und Logistik abgestimmten Lieferlosgrößen flexibler auf die Bedarfe der Fertigung einzugehen. In der Regel bringt diese Vorgehensweise spätestens ab der zweiten Lieferung auch kürzere Lieferzeiten mit sich.

Bei Lieferanten, die einen Artikelmix aus schnell und auch langsam drehenden Artikeln haben, kann es oft von Vorteil sein, diesen die eigenständige Optimierung der Zusammenstellung der z.B. wöchentlichen Lieferungen zu logistisch sinnvollen Einheiten zu gestatten. So konnte in mehreren Fällen den Lieferanten dem Argument, dass nun durch Vorfertigung und Lagerhaltung seinerseits erhöhte Kapitalkosten entstünden, der Wind aus den Segeln genommen werden: Bisher lieferte der Lieferant mehrmals in der Woche, zum Teil auch Kleinstmengen mit einem KEP-Dienstleister, an. Dies verursachte beim Lieferanten unangemessenen logistischen Aufwand. Mit den neuen Vereinbarungen, konnte der Lieferant die Lieferungen zusammenfassen und so seine Logistik optimieren.

Lieferpläne

Eine weitere einfache wie effektive Lösung sind Lieferplanvereinbarungen mit Lieferanten. Am sinnvollsten werden diese mit einem Forecast über 6-12 Monate kombiniert. Kernstück eines Lieferplans ist die Artikelliste. In dieser werden die relevanten Parameter definiert. Über den Forecast wird die Belieferung hinsichtlich Menge und Zeitpunkt gesteuert. Wenn ohne Forecast gearbeitet werden muss, ist zwischen stetigen und schwankenden Bedarfen zu differenzieren. Die stetigen Bedarfe können über einen festgelegten Lieferrhythmus, der
selbstverständlich in regelmäßigen Abständen zu überprüfen ist, abgewickelt werden. Die schwankenden Bedarfe sind dann über Einzelabrufe zu disponieren.

In allen Fällen werden Sie nicht umhin kommen, die (kosten-)optimalen Fertigungslosgrößen der Lieferanten auszuloten. Dies reicht von „extremem Einfluss“ bis hin zu „völlig irrelevant“. Die Komplexität dieses Themas macht es leider schwierig bis unmöglich, im Rahmen dieses Blog-Artikels darauf im Einzelnen einzugehen. Dennoch: Kaum ein Lieferant wird seinerseits die Rahmenvertragsjahresmengen in einem Rutsch fertigen oder beschaffen. Absolut notwendig ist eine enge und detaillierte Abstimmung zwischen Kunde und Lieferant.

Schlussbemerkungen

„Einkauf ist keine Raketentechnologie“. Dieses Zitat gilt nach wie vor. Erfahrung, gesunder Menschenverstand und Wissen um moderne Tools, gepaart mit der Neigung, über den Tellerrand hinaus zu schauen und sich einzumischen, sind hilfreiche Voraussetzungen. Insbesondere in Hinblick auf den Einfluss des Einkaufs auf den Lagerbestand. Für die Lieferlosgrößen gilt das Motto „So oft wie möglich und so selten wie nötig.“ Dabei ist immer auf den jeweiligen Einzelfall abzustellen. Dies erfordert Kapazitäten, methodisches Vorgehen und eine möglichst breite Erfahrungsbasis aus verschiedenen Bereichen. Hier findet sich in vielen Einkaufsabteilungen zuweilen ein gewisser Nachholbedarf.

Mit einer zentralen Frage sehe ich mich in der Zusammenarbeit mit den Einkaufskol-leginnen und Kollegen beim Kunden immer wieder konfrontiert: Welche Lieferfrequenz ist die „richtige“? Wöchentlich? Alle zwei Wochen? Einmal im Monat? 4-, 3-, 2-mal im Jahr oder eben doch auch mal den ganzen Jahresbedarf auf einmal? Gibt es sie überhaupt, DIE optimale Lieferlosgröße? Sicher, dazu gibt es Formeln. Meist sind diese aber unhandliche und sperrige Ungetüme, bei denen in der Regel mindestens eine Variable unbekannt bleibt und sich in ihren möglichen Werten in einer so großen Bandbreite bewegt, dass das Ergebnis mehr oder weniger der Chaostheorie zu entspringen scheint. Daher lässt sich sagen: Eine praktikable Generalformel gibt es hier nicht.

Last but not least bleibt mir noch ein Punkt: Die Prozesskosten. Zur Lieferlosgrößen-optimierung gehört auch, die Kosten der Bestell- und Lieferprozesse im Blick zu behalten. Wenn zwar der Lagerbestand auf der einen Seite sinkt, dies aber nur zu dem Preis, dass der Aufwand im Einkauf und des Wareneinganges überproportional steigt, ist das nicht erwünscht.

Wenn Sie die obengenannten Maßnahmen mit Augenmaß und Verstand angehen und umsetzen, wird der Erfolg nicht ausbleiben. Beispielsweise konnte Kloepfel Consulting in einem Fall für einen Kunden in nur drei Monaten so ein Lagerbestands-optimierungspotential von über 30% umsetzen.

Autor: Duran Sarikaya