Brexit: Deutschland Top-Standort für britische Unternehmen

Autor: Marc Kloepfel
Datum: 01.02.2017

Studie zeigt, dass jedes siebte Unternehmen eine Verlagerung aus Großbritannien plant

Noch vor seinem Beginn zeigt der Brexit bereits erste Auswirkungen. So steigt vor allem die Attraktivität von Deutschland als Standort für ausländische Unternehmen. Bereits 40 Prozent sehen Deutschland als Top-Investitionsstandort in Europa. Im Vergleich zum Vorjahr macht das ein Plus von 2 Prozentpunkten.
Damit wird Deutschlands Vorsprung innerhalb Europas immer größer. Großbritannien dagegen fällt zurück – nur 22 Prozent (2016: 27 Prozent) sehen das Vereinigte Königreich als führenden Standort. Frankreich liegt mit acht Prozent (2016: sieben Prozent) noch weiter zurück.

Die hohe Attraktivität des Standortes Deutschland dürfte zu einer Umsiedlung britischer Unternehmen von Großbritannien nach Deutschland führen. Jedes siebte Unternehmen plant diese Verlagerung bereits. Im Rest Europas wäre gerade einmal jedes 50te Unternehmen dazu bereit den Standort zu ändern. Für die britischen Unternehmen kommt vor allem ein Land als Alternative in Frage: Deutschland. Ganze 54 Prozent sehen in Deutschland eine gute Alternative zu Großbritannien. Andere Ziele wie die Niederlande (33 Prozent) und Frankreich (8 Prozent) landen weit abgeschieden dahinter.

Zu diesem Ergebnis kam eine Befragung der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY mit einer Beteiligung von 254 Unternehmen, von denen 75 Prozent ihren Hauptsitz oder eine Niederlassung im Vereinigten Königreich haben.

„Es zeigt sich, dass der anstehende Brexit für große Unsicherheit bei der Wirtschaft in Großbritannien sorgt. Der sichere Zugang zum europäischen Binnenmarkt ist und bleibt ein wichtiger Wettbewerbsvorteil. Deswegen suchen die in Großbritannien ansässigen Unternehmen nach Alternativen. Erfreulich aus deutscher Sicht ist, dass der hiesige Standort als besonders attraktiv wahrgenommen wird. In einem volatilen Umfeld, in dem auch in Nachbarländern Populisten nach der Macht greifen und der Nationalismus sich ausbreitet, hat Deutschland die Chance, sich als Stabilitätsanker zu erweisen.“, sagt Hubert Barth, Vorsitzender der Geschäftsführung von EY in Deutschland. Er erwartet, dass Deutschland durch den Brexit eine Zuwanderung vieler attraktiver Unternehmen erleben wird.

Aus Sicht der internationalen Unternehmen, bleibt auch Europa weiterhin attraktiv. 56 Prozent gaben an, in Europa investieren zu wollen.

„Die Europäische Union ist stark und attraktiv genug, um auch ohne Großbritannien internationale Investoren anzuziehen. Die relative Gelassenheit der Wirtschaft außerhalb Großbritanniens ist ein ermutigendes Signal an die europäische Gemeinschaft.“, sagt Bernhard Lorentz, Partner bei EY und Bereichsleiter für den Government & Public Sector in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Er sieht vor allem Deutschland als alternativen Standort zu Großbritannien: „Wer Zugang zum europäischen Binnenmarkt suchte, hat bisher häufig von Großbritannien aus operiert. Künftig könnten andere europäische Länder das Rennen machen, allen voran Deutschland. Die Wirtschaft findet hierzulande nicht nur rechtliche, politische und soziale Sicherheit. Sie kann auch auf eine hervorragende Infrastruktur, gut ausgebildete Fachkräfte und einen im internationalen Vergleich attraktiven Immobilienmarkt zählen.“

Auch wenn der Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union frühestens in zwei Jahren in Kraft tritt, fühlen sich viele Unternehmen bereits heute mit den Folgen konfrontiert. So geben 71 Prozent an, konkrete Auswirkungen vor allem bei den Gewinnmargen, welche bei 28 Prozent der Unternehmen geschrumpft sind, zu spüren. Außerdem haben sich für 28 Prozent die Einkaufspreise erhöht. Hinzu kommt die Tatsache, dass, bedingt durch das Votum, das britische Pfund einen massiven Wertverlust erlitten hat. Das führt dazu, dass Importe nach Großbritannien deutlich teurer geworden sind.

„So erfreulich die steigende Attraktivität des Investitionsstandortes Deutschland ist – dies darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Austritt Großbritanniens aus der EU viele deutsche Unternehmen vor erhebliche Herausforderungen stellen wird.“, warnt Barth. Besonders für die Automobilindustrie könne das Probleme bedeuten. In die Lieferketten der Hersteller und Zulieferer seien viele Länder mit eingebunden – vor allem Großbritannien. Viele Unternehmen spüren daher eine Belastung durch die neuen Handelshemmnisse.

Die Hauptsorge der Unternehmen ist jedoch der Brexit. Jedes Dritte britische Unternehmen macht sich darum Sorgen. Unternehmen außerhalb des Vereinigten Königreiches sehen die Situation ganz anders. Nur 15 Prozent sind besorgt wegen des bevorstehenden Austritts aus der Europäischen Union. Aus ihrer Sicht stellt die geopolitische und EU-weite Instabilität und die Verlangsamung der weltweiten Handelsströme ein viel größeres Problem dar.

Hinzu kommt, dass der Standort Großbritannien seit Befragungsbeginn im Jahre 2004 noch nie so schlecht bewertet wurde. 34 Prozent der Befragten gaben an zu erwarten, dass die Attraktivität des Vereinigten Königreichs in den nächsten drei Jahren stark abnehmen wird. Zum Vergleich: im März 2016, kurz vor dem Votum, sahen noch 36 Prozent eine Verbesserung durch den Brexit. 2015 waren es sogar noch 54 Prozent.

Doch die Unternehmen sind schlecht auf den Brexit vorbereitet. Nur vier Prozent gaben an inzwischen eine Strategie zur Bewältigung der veränderten Bedingungen entwickelt zu haben, obwohl ein Großteil der Unternehmen bereits die Folgen des Votums spürt.

Barth rät, frühzeitig eine Strategie zu entwickeln. „Volatilität ist die neue Normalität. International tätige Unternehmen sollten sich darauf einstellen. In einer sich immer schneller verändernden Welt gilt es, flexibel zu bleiben und sich Investitionen beziehungsweise Desinvestitionen offen zu halten. Wer technologisch vorangeht, kann sich einen Vorteil verschaffen. Eine konsequente Digitalisierung aller Geschäftsbereiche kann Unternehmen dabei helfen, sich schnell und flexibel an veränderte Marktbedingungen anzupassen.“