DVZ: Neue Supply-Chain Lösungen

Autor: Sebastian Thelen
Datum: 09.01.2017

Welche Möglichkeiten gibt es und wie setzen Unternehmen sie ein?

Kai Hoberg, Professor für Supply Chain und Operations Strategie an der Hamburger Kühne Logistics University und Knut Alicke, Partner und Master Expert für Supply Chain Management bei McKinsey & Company erläutern in einem DVZ-Fachartikel die neuesten Trends in Sachen Supply Chain 4.0.

Fast täglich kommt eine neue Lösung für die Supply Chain auf den Markt. Smart Devices bieten die Möglichkeit Bestands- und Standortdaten in Echtzeit festzuhalten und weiterzuleiten.
Weiterentwicklungen in der Robotik ermöglichen eine bisher nie dagewesene Automatisierung im Lager und erlauben zukünftig eine Warenauslieferung per Drohne. Dank neuer Datenquellen, verbesserter Prognoseverfahren und neuer Prozesse lassen sich die Planung und die Abwicklung von Aufträgen so weit automatisieren, dass menschliche Interaktionen überflüssig werden.

„Supply Chain 4.0 Innovation Survey“ heißt die aktuelle Studie von Mc Kinsey, die die hohen Erwartungen an den Fortschritt und die Wirkung dessen für die wichtigen Techniken der Lieferkette 4.0 aufzeigt. Viele Manager sehen dabei die Gefahr, überholt zu werden, wenn sie den richtigen Zeitpunkt zum Investieren verpassen. Dafür muss aber die Frage im Vordergrund stehen, welche Supply-Chain-Prozesse aus den neuen technischen Ansätzen einen Nutzen ziehen und welche davon wirklich relevant für das Unternehmen sind.

Die Strategie für die Supply Chain 4.0 muss dabei von Unternehmen in drei Schritten angegangen werden. Der erste Schritt besteht daraus, dass sich die Mitwirkenden überlegen, wie die Supply Chain im digitalen Ökosystem ungefähr aussehen könnte. Um die Vision zu definieren, Details auszuarbeiten und ein Pilotprojekt aufsetzen zu können, müssen im zweiten Schritt mehr Player an Bord geholt werden. Erzielt man im zweiten Schritt Erfolge, können im dritten Schritt die Prozesse im Zuge der Supply-Chain-Transformation im Unternehmen eingeführt werden. Um die Supply Chain 4.0 zu entwickeln, ist eine radikale Anpassung der Prozesse, Fähigkeiten und des Mindsets von Nöten. Wichtig ist, dass diese Anpassung keine Teilzeitaufgabe ist, sondern Mitarbeiter benötigt, die sich voll und ganz auf dieses Thema konzentrieren.

Für die Entwicklung der Visionen ist es wichtig, jeden Supply-Chain-Prozess zu analysieren und mit den Potenzialen der technischen Möglichkeiten des Unternehmens abzugleichen. Eine Kontrolle aller Supply-Chain-Prozesse mit Blick auf Digitalisierungsgrad und –potenzial bietet sich für die Standortbestimmung an. Diese Vorgehensweise lässt erkennen, welche Prozesse gut auf die digitale Transformation vorbereitet sind und bei welchen Prozessen digitale Möglichkeiten nicht wahrgenommen werden. Das hilft, um ambitionierte Visionen abzuleiten. Diese könnten zum Beispiel so aussehen, dass Verbrauchsmittel von Kunden ohne Aufwand, ganz automatisch nachbestellt werden. So läuft das beispielsweise schon bei der neusten Generation der Waschmaschinen von Miele. Die Geräte kontrollieren eigenständig den Füllstand der Waschmittelpatronen und bieten dem Nutzer, bei Bedarf, eine direkte Möglichkeit die Patrone nachzubestellen.

Ein anderes Beispiel einer Vision wäre, Schuhe die ein Prominenter am Vortag im Fernsehen getragen hat, kurzfristig schon in den Läden anzubieten. Diese Vision hat sich auch Adidas gesetzt und arbeitet daher an der sogenannten „Speed Factory“, durch die eine hochautomatisierte Produktion im Geschäft möglich ist, was eine sofortige Reaktion auf Trends möglich macht. Besonders wichtig ist es bei diesen Ideen, sicher zu sein, dass sich die Visionen monetisieren lassen. Dabei muss klar erkennbar sein, dass ein Mechanismus vorliegt, der im Endeffekt die Kosten reduzieren oder die Umsätze steigern kann.

Wichtig ist dabei, dass ein Supply-Chain-4.0-Team außerhalb der funktionalen Organisation arbeitet, damit Bürokratie und langwierige Prozesse vermieden werden können. Dafür können zum Beispiel eine Taskforce oder eine digitale Arbeitsgruppe errichtet werden. Unternehmen wie der Logistikdienstleister Hermes haben zum Beispiel ein Digital Lab eröffnet, das den Mitarbeitern besondere Freiheiten ermöglicht.

Eine 2-Speed-Architektur ist bei der Entwicklung von IT-Systemen empfehlenswert. Um die Qualität zu sichern, werden verschiedene Bestandssysteme wie das Enterprise Ressource Planning schrittweise mit immer neuen Change Requests auf die neusten Erfordernisse angepasst. Eine schnelle Entwicklung und Anpassung durch Tests und Überprüfungen kann bei Pilotprojekten durchgeführt werden, da sie nicht perfekt ausgearbeitet sein müssen und keine Rücksicht auf bestehende Systeme genommen werden muss.

Eine weitere Möglichkeit sind Inkubatoren. Sie besitzen die Fähigkeit, komplett unabhängig von der Organisation und eigenständig zu arbeiten. Ein Beispiel dafür ist die Managementplattform „Inkubator 365 Farmnet“, die der Landmaschinenhersteller Claas in Berlin für Landwirte gegründet hat. Andere innovative Wege sind beispielsweise die Data-Science-Plattform „Kaggle“, auf der die Drogeriemarktkette DM ihre Verkaufszahlen hochlädt, um von den Nutzern der Plattform neue Datenanalyse-Methoden zu lernen oder die Idee von Luxushersteller Louis Vuitton, sich in einem Hackathon von Studenten von neuen Supply-Chain-Lösungen inspirieren zu lassen.

Um die Transformation vorzubereiten, werden die richtigen Talente mit den jeweiligen digitalen Fähigkeiten benötigt. Damit Projekte in kürzester Zeit zu Potenzialbewertung gebracht werden können, ist es besonders wichtig, dass die Leitung bereits Erfahrungen mit den Innovationskonzepten der Hightech-Branche hat. So schafft es Zalando von der Idee eines neuen Kommissionieralgorithmus zu dessen Pilotierung in einem Zeitraum von nur einer Woche. Diese Geschwindigkeit kann nur erreicht werden, wenn es neue Konzepte für die Entwicklung der Produkte und eine Mentalität, die Rückschläge akzeptiert, gibt.

Zum Verdeutlichen der Potenziale der Supply-Chain 4.0 für die gesamte Organisation, müssen die ersten Erfolge sofort genutzt werden. Kommt es schlussendlich zum Rollout, werden die Linienfunktionen von den Mitarbeitern übernommen. Die Experten fungieren dann nur noch als Coach.