Bildung, Qualifizierung und Fachkräftemangel – was jetzt getan werden muss – Wolfgang Clement im Interview
Wolfang Clement, Vorsitzender des Beirats Deutschland der Kloepfel Group, beschreibt im Interview mit Duran Sarikaya, welche Anstrengungen nötig sind, die Staat aber auch Unternehmen leisten müssen, damit Deutschland in Sachen Bildung, Qualifizierung und Fachkräftemangel wieder aufholt.
Wenn jetzt viel von einem Fachkräftemangel die Rede ist, dann geht es doch auch um Bildung und Qualifizierung. Wie steht es damit in Deutschland?
Um es klar zu sagen, es steht hierzulande nicht zum Besten um Bildung und Qualifizierung. Verantwortlich dafür sind in erster Linie die Länder, die auf diesem Gebiet über die entscheidenden Kompetenzen verfügen, aber nicht die notwendigen Schlussfolgerungen aus längst bekannten Fakten ziehen. Nur ein paar Zahlen, die das erläutern: Jährlich verlassen im Durchschnitt rund 50.000 junge Leute ohne jeden Abschluss unsere öffentlichen Schulen. Diese bedrückende Zahl ist seit etlichen Jahren nahezu unverändert. Und Jahr für Jahr registrieren wir einige 100.000 Studienabbrecher und junge Leute, die ihre duale Berufsausbildung abbrechen. So haben wir heute vermutlich rund eine Million zwischen 20- und 30jährige ohne abgeschlossene Berufsausbildung. Und zu viele derer, die – wenn sie nicht auf andere Weise einen beruflichen Einstieg finden – mit großer Wahrscheinlichkeit im Berufsleben scheitern, stammen aus den sogenannten bildungsfernen, zumeist sozial schwachen Schichtungen unseres Landes.
Ein Hauptgrund für diese negative Entwicklung ist eine mangelnde frühkindliche Bildung, die bei uns auch im internationalen Vergleich absolut unzureichend ist. Gerade im Alter von drei bis sechs Jahren sind Kinder besonders aufnahmefähig, schon in diesem Alter werden die Weichen fürs Leben gestellt, entwickeln sich – wenn es gut geht – Fähigkeiten und Talente, muss Sprachförderung einsetzen, fällt mindestens eine Vorentscheidung über die Frage, ob Kindern und Heranwachsenden mit fairen Chancen für den weiteren Lebensweg ausgestattet werden oder nicht.
Dafür eine ausreichende Zahl von Kita- und Kindergartenplätzen zur Verfügung zu stellen, was derzeit keineswegs überall gewährleistet ist, ist eine selbstverständliche, aber keineswegs hinreichende Antwort. Deshalb sollten wir uns, statt über die Abschaffung von Kita-Gebühren zu diskutieren, eher darum kümmern, genügend viele qualifizierte und motivierte Erzieherinnen und Erzieher für diese überaus wichtige Aufgabe zu gewinnen. Das wird mehr Geld kosten müssen, sehr viel mehr als wir heute investieren, aber es ist dringend, dass wir das tun.
Bund, Länder und Kommunen gemeinsam investieren heute in Deutschland deutlich weniger als die meisten OECD-Staaten in Kindergärten, Schulen und Hochschulen. In der letzten OECD-Statistik, von der ich auf diesem Feld las, lagen wir auf einer Höhe mit Portugal auf Rang 18. Für eine der stärksten Volkswirtschaften der Welt ist das katastrophal. Bildung und Qualifizierung ist natürlich nicht nur ein finanzielles Thema, aber das ist es auch. Und unser Ziel muss sein, uns zwischen den fünf besten Bildungs- und Wissenschaftsnationen auf der Welt einzureihen.
Der Fachkräftemangel betrifft vor allem die Informatik, Programmierer werden überall gesucht…
Das ist auch ein Bildungsthema, und zwar ein sehr akutes, denn es sind vergleichsweise zu wenige junge Leute, die sich für die sogenannten MINT-Fächer interessieren und sich in der Ausbildungs- und Berufswahl in dieser Richtung entscheiden, also für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft oder Technologie. Ich meine, dass bereits in der Schule Interesse und Begeisterung an Mathematik und den anderen Fachrichtungen geweckt werden müssen. In Indien, so hörte ich schon vor geraumer Zeit, gebe es landesweite Mathematik-Wettbewerbe. Man schafft also Anreize und vermittelt sportliche Freude am Stoff, den unsereiner in der Schule noch als staubtrocken und eher bedrückende Last empfand. Über China las ich, dass die Kinder Programmierung bereits in der Grundschule lernen.
Es gibt viele Beispiele auf der Welt, von denen wir lernen können und sollten. Die Zeiten, in denen wir zu den bedeutendsten Bildungsnationen auf der Welt gehörten, sind vorbei. Wir müssen uns wieder dorthin arbeiten.
Programmierung als die Fähigkeit, Computerprogramme zu entwerfen, gehört zu den Grundfertigkeiten, die man sich in unserer neuen, der digitalen Welt möglichst aneignen sollte. Programmierer als Beruf ist schon heute ein Elite-Job, gesucht wie kaum ein anderer. Es ist deshalb wichtig, dass wir uns Gedanken darüber machen, wie wir Menschen, zumal junge Leute, aber keineswegs nur sie entsprechend qualifizieren können.
Man benötigt dazu nicht zwingend ein akademisches Studium. Es gibt auch Möglichkeiten, sich aus anderer, möglichst verwandter Ausbildung und entsprechenden Berufen in solche Kompetenzen hinein zu qualifizieren. Deshalb stelle ich mir mehr mittelständische Unternehmen vor, die einen entsprechenden Bedarf an IT-Spezialisten haben, dass sie sich beispielsweise mit ihren Industrie- und Handelskammern zusammentun und Qualifizierungsangebote entwickeln, um die von ihnen benötigten Fachleute letztlich selbst zu qualifizieren.
Wir müssen bei diesem drängenden Thema kreativer zu Werke gehen und dürfen nicht nur in herkömmlichen Strukturen denken. Es reicht nicht, den Fachkräftemangel zu beklagen. Wir haben es auf diesem Feld mit einer wirtschaftlichen und konkret unternehmerischen Herausforderung zu tun, die Staat, Wissenschaft und Wirtschaft gemeinsam angeht.
Auch wenn der Arbeitsmarkt in Deutschland zur Zeit noch gut dasteht – in nicht wenigen Bereichen – aktuell betrifft es vor allem den Banken- und Versicherungssektor – werden Jobs abgebaut. Woher könnten die neuen Jobs kommen?
Richtig, die Digitalisierung wird auch eine erhebliche Zahl an Jobs überflüssig machen. Und Unternehmen – vor allem die, die im globalen Wettbewerb stehen – werden immer wieder tatsächliche oder vermeintliche Randbereiche auslagern, um sich auf ihre Kernkompetenzen zu konzentrieren. Man braucht sich nur die laufenden Umbauten von GE oder auch bei Siemens anzuschauen.
Aus beiden Prozessen wird sich und muss sich eine kräftige Entwicklung im Arbeitswesen in Richtung Selbständigkeit ergeben. Es ergeben sich neue Fragestellungen und Möglichkeiten, keineswegs nur im Dienstleistungsbereich, und bisherige Aufgaben werden sich mehr aufteilen und mehr Aufgaben werden zu verteilen sein.
Eine der Grundvoraussetzungen einer erfolgreichen Sozialen Marktwirtschaft ist die Bereitschaft möglichst vieler Menschen zur Eigenverantwortung und Eigeninitiative. Sie spiegelt sich auch in der Entscheidung für eine selbstständige, also eigenverantwortliche Tätigkeit. Wir haben auch da im internationalen Vergleich durchaus noch Nachholbedarf. Wenn wir den überwinden, wenn es uns gut gelingt, wird es unser Wirtschaftsleben vielfältiger machen und beflügeln.
Gut gelingen – das bedeutet aber auch, dass unsere gesellschaftlichen, politischen und damit unternehmerischen Bedingungen sich dem entsprechend anpassen müssen. Das verlangt vor allem, dass wir nicht wieder anfangen zu regulieren, bevor wir die neuen Entwicklungen und Tendenzen überhaupt hinreichend zu erkennen vermögen.
Es gilt, Freiräume zu schaffen und Experimente zu ermutigen, sage ich an die Adresse der Politik. Es gilt auch, unsere sozialen Sicherungssysteme nicht nur punktuell, wie bisher, sondern prinzipiell zu überprüfen. Nicht immerfort mit dem Schreckgespenst der „Scheinselbständigkeit“ zu drohen (und entsprechend zu regulieren), sondern zu bedenken, dass ein selbständiger Programmierer oder Mediziner oder auch Tüftler nicht selbstständig aus Not, sondern vermutlich aus Überzeugung und Spaß an der eigenen Verantwortung ist.
Bei der leider wieder in Gang gesetzten Regulierung von Zeitarbeit und Werkverträgen ist dies jedenfalls nicht oder mindestens nicht genügend berücksichtigt worden. Die von der Digitalisierung geförderte Entwicklung in Richtung Selbständigkeit sollte auf keinen Fall ähnlich reguliert und „eingehegt“ werden, schon gar nicht, ehe diese Entwicklung ihre Früchte tragen kann.
Vielen Dank für das Interview!
Inhaltsverzeichnis
- Start KW27 / 2018
- „Wir verkaufen Träume“ – Verena Frenken von der Infront Germany GmbH im Interview
- Bildung, Qualifizierung und Fachkräftemangel – was jetzt getan werden muss – Wolfgang Clement im Interview
- WM-Special Teil 3: Beschaffungsmarkt Schweden
- WM-Special Teil 4: Beschaffungsmarkt Südkorea
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