Fokus Einkauf: Thomas Schilling im Interview
Thomas Schilling, Einkaufsleiter der SATA GmbH & Co. KG, spricht mit Alexander Hornikel über die bisherige und zukünftige Entwicklung des Einkaufs.
Welche Entwicklung hat der Einkauf Ihrer Einschätzung nach in den letzten Jahren durchlaufen?
Um dies zu verdeutlichen, werde ich zunächst auf meinen Hintergrund eingehen. Bevor ich bei der SATA den Posten als Einkaufsleiter besetzte, war ich für einen renommierten Hersteller im Bereich Reinigungstechnik tätig. Für diesen habe ich sechs Jahre in China gearbeitet und den dortigen Einkauf geleitet, wodurch ich viele Eindrücke sammeln konnte. Vor Ort habe ich ein Einkaufsbüro aufgebaut, um Komponenten für die weltweit ansässigen Standorte zu beschaffen. Dies ist nun mittlerweile 10 Jahre her – viele Firmen sind noch früher auf den Global Sourcing-Zug aufgesprungen aber auch bereits wieder abgesprungen.
Global Sourcing hat im Rahmen der Globalisierung neue Möglichkeiten eröffnet und schaffte dadurch ein riesiges Potential. Einhergehend veränderte sich auch das Anforderungsprofil an den klassischen Einkäufer, im Klartext, weg vom Bestellabwickler und hin zum global und ganzheitlich orientierten Einkaufsspezialisten.
Aufgrund der Zunahme des Global Sourcings im Einkauf, geriet das klassische Dreieck der Erfolgsfaktoren Kosten, Qualität und Zeit, langsam aus der Balance – zu Ungunsten aller Faktoren. Insbesondere der klassische Mittelstand mit wenig Erfahrung im Global-Business, hatte mit den negativen Begleiterscheinungen des Global Sourcings, sprich zunehmender Qualitätsprobleme und damit verbundene Kosten, Lieferengpässe und zuletzt der teure Rückzug aus dem Niedriglohnland, zu kämpfen. Die Rückbesinnung auf Total-Costs war die logische Konsequenz, um das Zieldreieck wieder in Einklang zu bringen.
Ein internationaler Einkauf sollte, insbesondere bei mittelständischen Unternehmen wo sich geringere Stückzahlen und Losgrößen oftmals als nicht rentabel erweisen, gut durchdacht und traditionell kalkuliert werden um mittelfristig sowie langfristig nachhaltig zu sein. Themen wie das Einkaufscontrolling anhand sinnvoller Kennzahlen, welches bei SATA sehr aktiv genutzt wird, sind stark im Kommen. Die heutzutage anwendbare Informationstechnik bietet viele effektive Auswertungsmöglichkeiten, um ein optimales Einkaufscontrolling durchführen zu können und um Störgrößen zu identifizieren und frühzeitig zu beseitigen. Eine ganz zentrale Rolle für unser Unternehmen spielt die Versorgungssicherheit, gegenüber unserer Fertigung mit Rohmaterial und gegenüber unserem Kunden mit Produkten. Gleichzeitig ist uns auch Lieferantennähe wichtig, um auf Qualitätsprobleme und Versorgungsengpässe unmittelbar reagieren zu können. Da der Einkauf im Mittelstand nur über begrenzte Kapazitäten verfügt, können wir uns nicht erlauben, einen Einkäufer spontan eine Woche nach China fliegen zu lassen. Es wird wesentlich akribischer kalkuliert und darauf geachtet, ob sich der Einsatz in Niedriglohnländern auch langfristig rechnet. Was sich ebenfalls verändert hat, sind die sich bietenden Möglichkeiten der Lieferantensuche. Es existieren mittlerweile viele Online-Plattformen, die eine schnelle und effiziente Lieferantensuche zulassen. Ausschreibungen, Angebotsvergleiche, Auktionen, um nur einige wenige Beispiele zu nennen. Der Einkauf ist in den letzten Jahren weitaus transparenter geworden, beispielsweise in Bezug auf Rohmaterialpreise, Lohnkosten oder Energiepreise. Alle Informationen stehen heute jedermann zur Verfügung und lassen sich im Netz recherchieren. Hier beobachten wir also eine starke Entwicklung in der Effizienz des Einkaufs. Tagelanges Verhandeln um an Informationen zu gelangen, gehört künftig der Vergangenheit an. Der Einkauf wird ganzheitlich in Projekte involviert und trägt nicht nur mit besseren Preisen zum Erfolg der Firma bei. Durch die stetige Weiterentwicklung neuer Informations- und Beschaffungsmöglichkeiten, darf der persönliche Kontakt zum Lieferanten selbstverständlich nicht verloren gehen. Ohne persönlichen Lieferantenkontakt können Sie, wenn Probleme auftreten, nicht mit der vollen Unterstützung rechnen. Denn schwerwiegende Probleme können nicht durch E-Mails gelöst werden. In diesem Fall braucht es Partnerschaft und eine gute Beziehung zu dem jeweiligen Lieferanten.
Wie wird sich der Einkauf in Zukunft entwickeln?
Die Themen Automatisierung und Effizienzsteigerung im Einkauf werden mit Sicherheit an Relevanz gewinnen; einhergehend Plattformen zur elektronischen Bestellabwicklung. In Bezug auf strategische Themen wird das Lieferantenmanagement für Unternehmen wichtiger, und zwar vom Anfang bis zum Ende, entlang der kompletten Supply Chain. Früher war der Einkauf lediglich ein Beschaffer. Er hat einen Bedarf aus der Fertigung bekommen und bei einem passenden Lieferanten bestellt. Heute ist es so, dass der Einkauf verstärkt Projektarbeit übernimmt. So ist der Einkauf teilweise bereits in den Produktentstehungsprozess eingebunden. Dies wird in Zukunft immer mehr kommen und sichert eine gewisse Nachhaltigkeit. In den nächsten Jahren sollte auch der Lieferant in die Fertigungsplanung eingebunden werden. Die Produktion meldet über ein ERP-System einen Bedarf, diesen Bedarf sehe ich mir an und schicke eine Bestellung an den Lieferanten. Dieser Schritt der Materialdisposition wird künftig an Wichtigkeit verlieren. Der Lieferant wird direkt in die Fertigungsplanung und die Supply Chain eingebunden. Vernetzung ist hier das Stichwort und die Automobilindustrie gilt dabei sicherlich als Benchmark. Das klassische Dispo-Geschäft wird nur noch Kontrollfunktionen übernehmen und generell schrumpfen. Der Einkauf kann sich auf sein Kerngeschäft konzentrieren.
Ein weiterer Faktor ist die stärkere Einbindung des Einkaufs in den Produktentstehungsprozess. Ein unternehmerischer Spruch besagt, dass 80% der Kosten eines Produkts bereits in der Entstehungsphase festgelegt werden. Da stehen spätere Verhandlungserfolge mit durchschnittlich 2,5% in einem schwachen Licht. Hier bei der SATA fungiert der strategische Einkauf als Sparringspartner zu unserer Entwicklungsabteilung. Im Vordergrund steht das intensive Denken in Materialgruppen statt in Einzelteilen.
Welche aktuellen Schwächen müssen künftig im Einkauf behoben werden?
Die größten Herausforderungen im klassischen Mittelstand sind die Themen Materialgruppenmanagement und Maverick Buying. Historisch gewachsen, pflegen einzelne Bereiche und Fachabteilungen wie Fertigung, Entwicklung oder Marketing intensiven Kontakt zu Lieferanten und kaufen ein. Die dabei entstandene Lieferantenstruktur stellt uns im Einkauf vor erhebliche Probleme. Der Einkauf wird in vielen mittelständischen Betrieben als reiner operativer Bestellabwickler angesehen. Wir bei der SATA haben unseren Einkauf zukunftsorientiert in einen operativen und strategischen Einkauf organisiert. So hat man schließlich bei einer vergleichsweise kleinen Anzahl an zu beschaffenden Teilen eine sehr hohe Anzahl an Lieferanten. Es fehlt prinzipiell an einer klaren, zielgerichteten und nachhaltigen Beschaffungsstrategie. Es kann passieren, dass man für 10 Kunststoffteile acht Lieferanten hat. Eine Konsolidierung und Bündelung ist in den meisten Fällen angebracht und stellt den ambitionierten Einkäufer im Mittelstand vor große Herausforderungen. Hier müssen Materialgruppen gebildet werden, die jeweils einem bestimmten Lieferantenpool zugeordnet werden. Dieser Lieferantenpool gliedert die verfügbaren Lieferanten nach ihren Eigenschaften und erlaubt eine klare Lieferantenstruktur mit übergeordneten Strategien. Wie in anderen Funktionen auch, stellt die Beschaffung qualifizierten Personals eine große Aufgabe dar. Die Konkurrenz um die besten Köpfe ist insbesondere in einer Region wie Stuttgart enorm groß und als mittelständisches Unternehmen müssen wir mit Qualitäten wie kurzen Entscheidungswegen, ganzheitlichen Aufgabenstellungen, enger Integration mit Produktion und Entwicklung etc. gegen die namhaften Großunternehmen Punkten. Um uns hier vom Wettbewerb abzuheben, haben wir ein Projekt zur Steigerung der Arbeitgeber-Attraktivität ins Leben gerufen.
Wie beeinflussen aktuelle politische Ereignisse den Einkauf?
Politische Entscheidungen wie der Brexit hatten für uns beschaffungsseitig bis jetzt noch keinen großen Einfluss. Dies wird sich erst noch entwickeln und hängt ganz von der Neugestaltung der Handelsverträge und deren Auswirkungen, etwa auf Steuern und Zölle, ab. Die zunehmende Volatilität der Rohmaterialpreise wird stark von politischen Entscheidungen über Zinsen, Währungen und Energieressourcen beeinflusst. Was ich allerdings als kritisch empfinde, sind ausufernde Einfuhrbestimmungen und gesetzliche Auflagen. Die länderspezifischen Konstrukte die in diesem Bereich aufgebaut werden, führen zu administrativem Zusatzaufwand und tragen auch dazu bei, dass sich Unternehmen gegen das Sourcing in einem Drittland entscheiden.
Vielen Dank für das Interview!
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