„Industrie 4.0 – Verliert der Einkauf den Anschluss?“
Markus Quendler, Director Supply Chain Management bei der cms electronics gmbh, im InterviewInwieweit wird Ihr Einkauf in die Produktentwicklung eingebunden?
Grundsätzlich betreibt die cms electronics gmbh eine Auftragsfertigung in der Elektronikindustrie, was bedeutet, dass wir im Einkauf einen Materialanteil von größer als 70 Prozent verantworten. Gerade deswegen ist es wichtig, dass der Einkauf schon in der Initialphase dabei ist. Beispielsweise bei der Überleitung in die Serienreife. Wir bekommen von unserem Kunden die vordefinierten Stücklisten, evaluieren diese und identifizieren eventuelle „Second source“ Möglichkeiten. Der Einkauf ist also bei jedem Projekt ein Kernmitglied des Projektteams. Auch bei der Neuentwicklung sind wir komplett eingebunden, indem wir erste Entwürfe von Entwicklungspartnern oder der eigenen Entwicklung erhalten und in der Konzeptphase schon von Anfang an ab der Bauteildefinition mitwirken. Somit werden wir hauptsächlich in die betriebsseitigen Themen, wie Bauteileauswahl und „Second source“, eingebunden. Darüber hinaus fungieren wir allerdings noch als Schnittstelle zum Lieferanten, beispielsweise auch in Bezug auf Zeichnungsteile.
Wie gut verkauft sich Ihr Einkauf im Unternehmen? Sehen Sie Ihren Einkauf als Teamplayer und Netzwerker, der unternehmerisch agiert oder als Mauerblümchen?
Unser Einkauf ist definitiv ein Teamplayer und Netzwerker, da wir letztendlich mehrere Rollen im Unternehmen einnehmen. Der Einkäufer ist im Projektteam von der Initialisierungsphase bis hin zur Serienfertigung beteiligt. Im Großen und Ganzen ist unser Einkauf über den gesamten Prozess hinweg ein obligatorisches Kernmitglied der Projektteams.
Inwiefern ist die Leistung des Einkaufs im Unternehmen transparent und wird diese auch wertgeschätzt?
Der Einkauf bei der cms electronics gmbh ist komplett offen gestaltet, Transparenz durch und durch. Die erste Ebene bilden sorgfältig ausgewählte Performancekennzahlen. Hiermit messen wir den Einkauf unter Berücksichtigung des Materialindexes, Umschlaghäufigkeit im Lager und der Lieferantenvertragsquote auf Unternehmensebene. Wir haben keinen direkten Einkaufsleiter, das Team ist mir im Bereich Supply Chain Management unterstellt. Wir sprechen hier von sogenannte Fachspezialisten, die sich selbst managen und organisieren. Gesteuert werden die Kollegen über eigene Key Performance Indicator (KPI). Bei uns ist jeder Einkäufer für eine Commodity verantwortlich, somit sprechen wir von einer Matrixorganisation. Der Einkäufer wirkt also einerseits für den Kunden im Projektteam und andererseits intern für die Commodity mit. Daraus lassen sich auch entsprechende Commodity-Ziele über das Jahr ableiten. So ist die Leistung der Kollegen im Kunden- und Projektteam stets transparent, gleiches gilt für die reale Einkaufsleistung, welche letztendlich auch den Unternehmenserfolg durch die jeweilige Commodity misst.
Welche konkreten Leistungen erwarten Sie vom Einkauf?
Grundsätzlich decken wir im Einkauf die drei Fokusthemen Qualität, Termin und Preis ab. In dem heutzutage sehr komplexen elektronischen Umfeld, in welchem wir uns bewegen, ist die Erwartungshaltung an den Einkauf dem unternehmerischen Denken entsprechend. Als Auftragsfertiger verfügen wir über eine kundenorientierte Ausrichtung, sodass wir die Schnelllebigkeit mit situationsflexiblem Handeln bewältigen können. Der Einkauf ist bei uns also mehr als nur Preise verhandeln. Wir arbeiten stets auf Basis der kaufmännischen Ansatzpunkte und des kaufmännischen Denkens, das ist eine Grundvoraussetzung.
Inwieweit finden sich die Leistungen des Einkaufs in den finanziellen Zahlen wieder?
Einerseits natürlich im ROI, dem Return on Investment. Aufgrund des Bestandsmanagements werden die Vorräte in Schach gehalten und beobachtet. Das hat ganz klare Auswirkungen auf das Working Capital. Noch wichtiger ist für uns allerdings die Cash-to-Cash Synchronisierung der Zahlungsbedingungen vom Kunden zu uns und von uns zum Lieferanten. Genauso synchronisieren wir direkt die Beschaffungsarten der Kunden mit den Lieferanten, sodass wir das Obsolescence-Risiko entschärfen, was sich wiederum ebenfalls positiv auf das Working-Capital auswirkt.
Inwieweit nutzt der Einkauf die Möglichkeiten zur Digitalisierung im Vergleich zu anderen Abteilungen?
Schon vor einigen Jahren haben wir ein Supplier Relationship Management Tool eingeführt, welches bei uns über POOL4TOOL läuft.
Damit waren wir unter den ersten Unternehmen, die ein solches Tool aktiv integriert haben. Wir nutzen dort seit Beginn einige Möglichkeiten wie beispielsweise WebEDI, eine web-basierte Schnittstelle für Electronic Data Interchange (EDI). Darüber hinaus nutzen wir automatisierte CSV Excel-Importe, nicht nur in unser eigenes ERP-System, sondern transferieren diese über definierte Schnittstellen in das ERP-System unserer Lieferanten. Davon profitiert der digitale Datenaustausch enorm. Wir nutzen auch die Möglichkeiten in Richtung Web-Plattformen und Datenbanken. So müssen wir Herstellerdaten von Plattformen wie SiliconExpert mit unserem ERP-System synchronisieren und in einer zentralen Datenbank abgleichen und aktualisieren.
Welche konkreten Ansätze zur Digitalisierung sehen Sie im strategischen Einkauf und in der operativen Beschaffung?
Der strategische Einkauf und die operative Beschaffung sind bei uns zwei getrennte Themen. Die operative Beschaffung ist im Customer-Service mitinbegriffen. Eine Kollegin aus dem Customer-Service ist für die Kundenaufträge zuständig und führt auch gleichzeitig die operativen Bestellungen an die Lieferanten durch. Die präzise Synchronisierung macht möglich, dass dies von nur einer Person erledigt werden kann. Im Lieferantenmanagement wollen wir den Lieferanten noch näher an das Unternehmen anbinden, um Daten wie Wiederbeschaffungszeiten, Preisschwankungen, Dollar-Zugriffe oder auch eine Real-Time-Produktliste zu erhalten.
Auf welche Themen legt der Einkauf bei Ihnen das größte Gewicht?
Aufgrund unserer Kunden in der Automobilindustrie ist natürlich die Verfügbarkeit ein großes Thema. Dafür erstellen wir kunden- und lieferantenseitige Konzepte. Ein weiteres großes Thema sind die Kosten. Dabei geht es nicht nur um direkte Kosteneinsparungen, sondern auch um wettbewerbsfähige Kosten. Es gibt immer Potenzial und wir stoßen immer wieder auf neue Themen. Bestes Beispiel ist doch die Globalisierung. Wenn wir zum Beispiel nach Asien oder Amerika ausweiten, gibt es immer wieder Potenzial, das man identifizieren kann und zu heben hat. Man muss nur offen für neue Themen sein und auch mutig genug sein diese umzusetzen.
Inwieweit befinden sich unter Ihren Lieferanten innovative Unternehmen? Inwiefern konnten diese Lieferanten im Innovationsprozess einen Beitrag leisten?
Aufgrund der umfangreichen Beschaffungsvielfalt in der Elektronik ist bei uns der Hauptinnovationstreiber die Logistik. Folgerichtig arbeiten wir verstärkt mit Distributoren zusammen, welche hier einen enorm hohen Innovationsgrad aufweisen. Einerseits bieten diese Unternehmen ein breites Spektrum von Möglichkeiten in der Logistik und andererseits eine große Datenbank an spezifischen Bauteilinformationen. Durch die Kundenforderungen einer durchgängigen „Traceability“ sammeln wir auf Bauteilebene, definierte Daten und Bilder. Dies erfolgt einerseits über Schnittstellen zu unseren Distributionen oder ausgewählten Datenbanken und andererseits durch die interne systematische und direkte Aufnahme unserer Kollegen bei der Warenannahme. Zu diesen Themen lernt man auch für das eigene Unternehmen viel von den Distributoren, was man wiederum intern umsetzen kann.
Wie hat Ihr Einkauf andere Fachabteilungen zuletzt überrascht und begeistert?
Wir haben 2012 in Hongkong ein Einkaufsbüro gegründet, ein sogenanntes Sourcing-Büro, welches sich in den letzten drei bis vier Jahren dermaßen entwickelt hat, dass wir durch dieses Einkaufsbüro erheblich profitieren. Einerseits sichern wir dadurch die Produktionsstandorte in Europa und andererseits erwirtschaften wir durch die direkte Anbindung der Lieferanten in Asien, einen beschaffungstechnischen und qualitätstechnischen Vorteil. Die enormen Vorteile des Bezugs von Lieferanten in Asien drückt sich deutlich in der Wettbewerbsfähigkeit bei neuen Projekten aus, in welchen wir mit interessanten Konditionen und neuen Möglichkeiten anbieten können.
Wie sieht Ihre längerfristige Vision für den Einkauf und die Beschaffung aus?
Der operative Einkauf wird sich auf Grund der Automatisierung und der Digitalisierung schmälern. Die Rolle des strategischen Einkaufs hingegen wird künftig an Wichtigkeit gewinnen. Letztendlich wird sich der strategische Einkäufer zum internen und externen Schnittstellenmanager entwickeln. Die Prozessstrukturen werden sich aufgrund der neuen Digitalisierungsmöglichkeiten gravierend anpassen. Noch wichtiger ist allerdings die Vernetzung, einerseits intern und andererseits extern durch die Produktionspartner. Auf Grund der hohen Komplexität werden Unternehmen diesbezüglich künftig auch verstärkt auf Spezialisten zukommen.
Die cms electronics gmbh
Die cms electronics gmbh ist ein österreichischer Auftragsfertiger von elektronischen Baugruppen, Systemen und Geräten für die Branchen Automotive, Industrie, Medizintechnik und Energie. Die Technologien umfassen Bestücktechnologien, Digitalisierungs- und Vernetzungstechnologien, Oberflächen- und Verbindungstechnologien, Prüf- und Analysetechnologien sowie Automatisierungs- und Montagetechnologien. Im Vordergrund stehen dabei der Innovationsgeist, ständiger Know-How-Aufbau und eine stetige Wachstumsstrategie des Managements.
Zur Hauptseite Kloepfel Magazin KW14 / 2017