Lidl erweitert Online-Geschäft – Lebensmittel weiterhin ausgeschlossen

Autor: Sebastian Thelen
Datum: 09.03.2018

Auch andere Discounter hinken bei Digitalisierung hinterher

Kürzlich sah es noch so aus, als ob Lidl sich wieder aus dem E-Commerce zurückzieht, bevor sie überhaupt richtig gestartet sind. So wurde der geplante Online-Abholdienst bereits vor seinem Start wieder gestoppt. Nur wenige Wochen später stellte der Discounter auch den Lebensmittel-Webshop ein. Daraufhin trennte sich Heiko Hegwein, Ex-E-Commerce-Chef bei Lidl, von dem Unternehmen, viele andere Topmitarbeiter aus dem digitalen Bereich folgten. Doch stehen die Zeichen für eine digitale Zukunft bei Lidl wirklich so schlecht?

Der Eindruck täuscht jedoch. Hinter dem Rücken der Öffentlichkeit arbeitet Lidl weiterhin an seinen E-Commerce-Aktivitäten, auch wenn sich dies lediglich auf den Non-Food-Bereich bezieht. „Die Relevanz des E-Commerce für Lidl steigt“, betont Thorsten Reichle, neuer Digitalchef des Unternehmens. „Im abgelaufenen Geschäftsjahr sind wir, im Vergleich zum Vorjahr, mehr als 50 Prozent gewachsen – und dieses Wachstum wollen wir fortführen.“

2018 dürfte Lidl im E-Commerce erstmals die Milliardengrenze ansteuern. Im abgelaufenen Geschäftsjahr soll das Unternehmen weltweit einen Umsatz von circa 750 Millionen Euro erzielt haben und das trotzdem es zu dem einschneidenden personellen und organisatorischen Umbruch in der Digitalabteilung kam. Verglichen mit dem Gesamtumsatz von etwa 68 Milliarden Euro ist das allerdings wenig, vor allem viel weniger als bei den zahlreichen Konkurrenten.

Und auch wenn die Discounter sonst sehr dominant den Lebensmittelmarkt in Deutschland bestimmen, halten sie sich aus dem Thema e-Commerce nahezu komplett raus. So verfügen beispielsweise Aldi Süd und Aldi Nord nicht einmal über einen eigenen Webshop und vertreiben ihre Angebote wie Schnittblumen oder Reisen über die Webseiten ihrer Partner.

Und auch die Handelsgruppen Rewe und Edeka halten ihre Tochter-Discounter Penny (Rewe) und Netto (Edeka) aus dem Online-Lebensmittelhandel raus. Beide Discounter vertreiben lediglich ihre wechselnden Aktionsartikel über das Internet. Rewe als Mutterkonzern hingegen verfügt über eine Flotte von Kühlwagen, mit der Menschen in über 70 Städten mit Lebensmitteln versorgt werden. Und auch Edeka testet das Konzept mit seiner Tochter Bringmeister in Berlin und München.

Damit der Liefer- und Abholservice genutzt wird und die Kunden bestenfalls überzeugt, lockte Rewe mit finanziellen Anreizen. Für die Discounttöchter wäre jedoch bereits eine bundesweite einheitliche Struktur verfügbar, wodurch sich der Aufbau des Onlinevertriebs deutlich leichter darstellen würde.

In den Augen der Experten ist diese Abneigung gegenüber des Online Handels jedoch ein großer Fehler. „Der reine Bedarfskauf, den man heute beim Discounter macht, ist besonders gefährdet, durch den Onlinehandel ersetzt zu werden“, warnt Thomas Harms, Handelsexperte. Zudem greifen besonders Onlinekonkurrenten die Discounter an deren Schmerzpunkt an – beim Preis. „Amazon Fresh ist immer auf Aktionspreisniveau“, beobachtet Harms. Egal welches Sonderangebot von einem Händler gemacht wird, die Algorithmen von Amazon unterbieten jedes Angebot.

Aldi äußerte sich bislang nicht dazu, wie das Unternehmen dieser Herausforderung begegnen möchte. Die einzige Äußerung die Aldi machte, ist, dass sie „vor dem Hintergrund einer wachsenden Digitalisierung im Handel ebenfalls darüber hinausgehende Möglichkeiten im Bereich E-Commerce“ beobachten würden. „Wir können Ihnen zum jetzigen Zeitpunkt jedoch keine Auskunft geben, weder ob noch wann ein solches Angebot von Aldi startet“, heißt es.

Zumindest im Ausland hat Aldi Süd bereits Onlinehandel-Erfahrung gesammelt. Seit zwei Jahren existiert im Vereinigten Königreich ein Webshop – mit atemberaubenden Wachstumsraten. Alleine von 2016 bis 2017 ist die Zahl der Kunden um rund ein Drittel gestiegen, die Frequenz im Shop ist sogar um 50 Prozent gewachsen.

Zurzeit werden dort etwa 1.500 Aktionswaren und 100 verschiedene Weine angeboten. Im Jahr kommt Aldi UK auf circa 600.000 Onlinebestellungen. Auf Kurz oder Lang hat sich das Unternehmen einen Umsatz von etwa 200 Millionen Euro als Ziel gesetzt.

Sowohl Lidl als auch Aldi sind in den USA zumindest etwas experimentierfreudiger mit Onlinelieferdiensten als Hierzulande. Testweise arbeitete Aldi in ausgewählten Regionen mit dem Start-up Instacart zusammen, bei welchem man als Kunde gegen ein Entgelt Produkte aus lokalen Läden nach Hause geliefert bekommt.

Lidl arbeitet eng mit Shipt zusammen, auch hier werden online bestellte Lebensmittel online bestellt und später in der Filiale eingesammelt. Erst kürzlich wurde ein Test mit dem System von North und South Carolina auf Richmond ausgeweitet. „Wir sammeln dort wichtige Erfahrungen“, sagt Lidls Digitalchef Reichle.

Experten empfinden diese Versuche im Ausland als höchst sinnvoll, allerdings auch als viel zu zögerlich. „Lidls E-Commerce-Entwicklung hängt dem Markt deutlich hinterher“, analysiert der renommierte Marktforscher Planet Retail RNG in einer aktuellen Studie. „Das wird insbesondere ihr US-Geschäft beeinträchtigen, wo kanalübergreifende Angebote von Konkurrenten sich ausbreiten.“

Zwar ist es für Harms nachvollziehbar, dass Produkte eher im Ausland getestet werden, jedoch gibt es dabei ein Problem: „Wenn sie glauben, dass sie daraus etwas für den Heimatmarkt lernen können, ist das ein Fehlschluss“, so Harms. „Dafür sind die Märkte zu unterschiedlich.“

Und auch Lidl-Manager Reichle bestätigt dies im Hinblick auf das Shipt-Experiment in den Vereinigten Staaten. „Das ist auf Deutschland nicht eins zu eins zu übertragen.“ Der Unterschied: Amerikaner sind viel eher dazu bereit, sich ihre Einkäufe gegen einen Aufpreis direkt in den Kühlschrank liefern zu lassen.

Genau aus diesem Grund steht bei Lidl in Europa auch der Ausbau des Non-Food-Geschäfts im Vordergrund. Dazu gehören neben dem klassischen Webshop auch ein Blumenlieferdienst und ein Fotoservice. Zudem wird auch das Online-Reisegeschäft immer wichtiger. Lidl hat daher im Dezember den insolventen Reisevermittler JT Touristik übernommen.

Zudem erschließt Lidl stetig neue Länder; kürzlich kam Tschechien hinzu. Seitdem das Unternehmen im September 2017 dort startete stieg der Umsatz deutlich besser an als erwartet. „Das zeigt die Strahlkraft unserer Marke und welches Startkapital sie für den E-Commerce in neuen Ländern bietet“, freut sich Reichle.

Von Land zu Land sieht die Strategie von Lidl etwas anders aus: So ist Lidl in Polen beispielsweise vorerst als reiner Weinhandel ins Netz gegangen. Als Rückgrat für den Onlinevertrieb dient hier die Logistik. Daher gehen die Investitionen hier vor allem in den Bau von Versandlagern. Zurzeit entsteht beispielsweise eins in Ludwigsfelde, nahe Berlin.

Zudem startete Lidl erst vor kurzem die Smartphone-App „Lidl Plus“, welche den stationären Handel mit der digitalen Welt verbindet. Nachdem die App in Saragossa in Spanien getestet wurde, wird sie nun flächendeckend in Österreich eingeführt. In der App wird der Kunde dann zum Beispiel über spezielle Rabatte informiert und erhält nach jedem Einkauf einen elektronischen Kassenbon. Demnächst soll auch eine Bezahlfunktion hinzukommen.

Während Lidl vorlegt, fühlen sich die anderen Discounter sicher und sind der Meinung, dass es reicht nachzuziehen, wenn die Onlinekonkurrenz ihnen zur ernsthaften Gefahr wird. „Die Gefahr ist groß, dass sie den richtigen Zeitpunkt für den Einstieg in den Onlinehandel verpassen“, warnt Experte Harms. Um den richtigen Moment nicht zu verpassen, ist es besser jetzt schon mit auf den Zug aufzuspringen.

Die Aldi-Schwestern investieren hingegen lieber Unsummen in das stationäre Geschäft. Aldi Nord hat so zum Beispiel vor nicht allzu langer Zeit über fünf Milliarden Euro in das Projekt „Aniko“ investiert. Und auch Aldi steckt viel Geld in die Modernisierung der Filialen.

Zwar alles Investitionen, die in irgendeiner Art und Weise sinnvoll sind, durch die jedoch einiges an Geld fehlen könnte, wenn es für eine Onlineoffensive benötigt wird. „Ob die hohen Investitionen in die stationären Märkte, die wir zurzeit sehen, sinnvoll sind, ist fraglich“, kritisiert Berater Harms. „Es wird viel Geld gesteckt in einen Kanal, der seine Hochzeit hinter sich hat, statt in die Kanäle der Zukunft.“