Generationswechsel im deutschen Mittelstand kommt ins Rollen

Autor: Osman Cetinkaya
Datum: 25.01.2018

Etwa 275.000 Seniorchefs wollen ihr Unternehmen bis 2022 übergeben

Es tut sich etwas im deutschen Mittelstand. Der Generationswechsel kommt kräftig ins Rollen. Momentan sind etwa 40 Prozent der Inhaber mittelständischer Betriebe älter als 55 Jahre und stehen damit über kurz oder lang vor dem Renteneintritt. Eine Studie von KfW Research zeigt nun, dass alleine die Chefs von 236.000 kleinen und mittleren Unternehmen ihre Firma innerhalb der nächsten zwei Jahre an einen Nachfolger weitergeben werden. 100.000 von ihnen haben dabei jedoch noch keinen Nachfolger gefunden beziehungsweise die Suche gar nicht erst gestartet. Diese Unternehmen sind sehr bedeutend, da in ihnen rund 2 Millionen Erwerbstätige und etwa 89.000 Auszubildende beschäftigt sind.

Blickt man ein paar Jahre in die Zukunft so wird das gesamte Ausmaß des Generationswechsels deutlich: Etwa 275.000 Seniorchefs wollen ihr Unternehmen bis 2022 übergeben. Die bevorzugte Form dabei ist mit 54 Prozent die Übergabe innerhalb der Familie. 42 Prozent können sich einen externen Käufer vorstellen und ein Mitarbeiter oder Miteigentümer als Nachfolger steht lediglich für 25 Prozent zur Debatte. Doch nicht jeder Eigentümer hat überhaupt die Absichten seinen Betrieb fortführen zu lassen. 331.000 Mittelständler planen ihr Geschäft innerhalb der nächsten fünf Jahre komplett still zu legen. Dadurch fällt bei etwa 1,63 Millionen Menschen der Arbeitsplatz weg.

Die Frage nach „Nachfolge oder Stilllegung“ ist stark abhängig von der Größe des Unternehmens. Für größere Betriebe mit mehr als 50 Mitarbeitern ist die Geschäftsaufgabe beinahe keine Option, lediglich 5 Prozent würden diese Möglichkeit in Erwägung ziehen. Bei den Kleinstbetrieben hingegen liegt die Quote bei etwa 41 Prozent. Etwas mehr als die Hälfte der Inhaber aus dem Handel, dem Baugewerbe und dem Dienstleistungssektor will das Unternehmen an einen Nachfolger weitergeben. Noch höher ist die Rate mit 45 Prozent im verarbeitenden Gewerbe.

Doch nicht überall in Deutschland stellt der Generationswechsel ein derartiges Problem dar. In Schleswig-Holstein sind bereits 46 Prozent der Chefs 55 Jahre oder älter und auch in Thüringen (44 Prozent) und in Baden-Württemberg (41 Prozent) ist der Anteil älterer Chefs überdurchschnittlich hoch. Hier wird auch am häufigsten nach einem Nachfolger gesucht. In Hamburg, Rheinland-Pfalz/ Saarland und Mecklenburg-Vorpommern sieht die Lage hingegen ganz anders aus: Die Zahl der älteren Chefs liegt hier bei circa 30 Prozent und auch die Zahl der kurzfristigen Nachfolgen ist wesentlich geringer.

Die Analyse von KfW Research legt jedoch auch ganz andere Dinge offen. So beeinflusst ein zeitnah anstehender Generationenwechsel in Kombination mit dem hohen Alter eines Unternehmers die Investitionsbereitschaft. Solange eine Nachfolge noch nicht geklärt ist, bleibt auch die Investitionsbereitschaft aus. Im Gegenzug steigert eine geklärte Nachfolge die Investitionsbereitschaft, das Alter des Inhabers spielt dabei keine Rolle. Am deutlichsten ist die Auswirkung bei Nachfolgen binnen der nächsten zwei Jahre ausgeprägt: Eine gesicherte Nachfolge löst hier ein Investitionsplus von 40 Prozent aus.

„Der deutsche Mittelstand steht infolge des demografischen Wandels vor erheblichen Strukturveränderungen. In den nächsten fünf Jahren ziehen sich die Chefs von 842.000 Betrieben in den Ruhestand zurück – mit oder ohne Nachfolger. Jedes fünfte mittelständische Unternehmen ist betroffen“, fasst Dr. Jörg Zeuner, Chefvolkswirt der KfW Bankengruppe, zusammen. Wenn sich ein Unternehmen erst zu spät beziehungsweise gar nicht um einen Nachfolger kümmert, so sind negative Folgen in Sachen Wettbewerbsfähigkeit nicht auszuschließen. „Es besteht die Gefahr, dass Unternehmen nicht weiterentwickelt werden, ihr Wert sinkt und damit auch die Chance, sich erfolgreich am Markt zu behaupten. Der Generationenwechsel muss daher eines der Top-Themen sowohl in den Chefetagen des Mittelstands als auch in der wirtschaftspolitischen Agenda hierzulande sein“, so Zeuner.

Für eine reibungslose Übergabe bedarf es in der Regel eine mehrjährige Planung. Besonders bei externen Nachfolgern ist dieser Punkt nicht außer Acht zu lassen. „Bei externen Nachfolgern sehen wir seit Jahren allerdings einen größer werdenden Engpass durch sinkende Gründerzahlen. Es fehlt dadurch nicht nur an ausreichend Unternehmernachwuchs in Deutschland, insbesondere übernahmewillige Gründer werden seltener. Zuletzt lag diese Zahl gerade bei 62.000 im Jahr 2016. Gesunken ist parallel auch die Zahl derer, die sich zumindest an einem bestehenden Unternehmen finanziell und aktiv beteiligen. Das sind letztlich deutlich zu wenige, um den Bedarf an qualifizierten Nachfolgern zur Weiterführung bestehender Unternehmen zu decken“, sagt Zeuner. „Es ist daher eine zentrale Herausforderung, die Attraktivität des Unternehmertums wieder zu steigern. Eine stärkere Vermittlung von ökonomischer Bildung und Unternehmerkompetenzen im Bildungssystem wäre ein wesentlicher Baustein hierfür.“