Die „vernetzte Fabrik“ – Rettung oder Untergang?

Autor: Ralf Windmüller
Datum: 06.04.2017

Industrie 4.0: Das Ende der menschlichen Sinne und der Einsatz von Technologien in den Prozessen des Unternehmen AT&S

Die „vernetzte Fabrik“ wird in manchen Augen als die Rettung oder eben als der Untergang der deutschen Industrie gesehen. Der steirische Leiterplatten-Hersteller AT&S möchte einen Nutzen aus dem gegenwärtigen Hype um Industrie 4.0 ziehen. Dabei fordert man auch von der Politik, auf den Wandel zu reagieren. Viele Menschen wissen nicht, was mit dem Begriff „Industrie 4.0“ überhaupt gemeint ist. Dies beweisen nicht nur Umfragen, sondern auch, dass die Digitalisierung in den Betrieben unterschiedlich weit vorangeschritten ist. AT&S, einer der größten High-Tech Leiterplatten-Hersteller weltweit, setzt bereits seit einigen Jahren auf Technologien, mit denen der Produktionsprozess in Echtzeit automatisch überwacht und angepasst wird. “Vor nicht einmal zehn Jahren haben wir Leiterbahnbreiten von 100 µm produziert – ungefähr so dick wie ein menschliches Haar”, erklärt Heinz Moitzi, COO bei AT&S. “Heutzutage stehen wir aber bei knapp 10 µm. Da sind sie mit den menschlichen Sinnen am Ende ihrer Möglichkeiten. Um das überhaupt produzieren zu können, brauchen sie sich selbst regelnde Prozesse.”

Die ersten Technologien sind bereits im Einsatz: Seit 2014 untersucht ein sogenannter „Goldkontroller“ vollautomatisch die Konzentration des Goldes mit geringster Schwankung, das auf die Leiterplatten aufgetragen wird. Dieser Prozess wurde vorher von Menschenhand ausgeführt. Auch der Transport der Leiterplatten zwischen den Werken wird von einem fahrerlosen Transportsystem übernommen. Das größte Projekt der AT&S ist das „Manufacturing Execution System” (MES), welches im chinesischen Werk in Chongqing, sowie in einigen Bereichen des Standortes Leoben zum Einsatz kommt. Dieses sammelt laufend Daten und passt diese bei Bedarf selbstständig an. So können Daten wie Materialverbrauch, Arbeitsaufwand, Prozessparameter, Auftrags- und Anlagenstatus und vieles mehr in Echtzeit überwacht werden. AT&S nimmt am EU-Forschungsprojekt SemI40 als eines von 37 Unternehmen aus fünf Ländern teil, die an Technologien zur „smarten Fabrik“ forschen.

“In einem Industrieland, wie es die Steiermark ist, sollte Industrie 4.0 alle bewegen. Es wird den industriellen Alltag und Zugang stark verändern. Das betrifft sowohl den Arbeiter als auch jeden Anderen, da dadurch neue Geschäftsmodelle entstehen werden”, so Moitzi. Das Unternehmen will die Chance sowohl als Anwender, als auch als Anbieter nutzen. So bietet man entsprechende Produkte für “Machine to Machine”-Kommunikation an, die auch andere Unternehmen nutzen können. Obwohl bereits früh damit begonnen wurde, die eigene Produktion zu automatisieren, ist zunächst kein Ende in Sicht.

“Das ist ein laufender Prozess. In unserem Werk 2 in Leoben – das gibt es seit 2000 – gibt es viele Maschinen, die können sie gar nicht auf Industrie 4.0 umrüsten. Am ehesten kann man das noch bei Neuanschaffungen berücksichtigen”, so Moitzi. “Wenn sie von einer normalen Maschinennutzung ausgehen, dauert das noch zehn bis zwanzig Jahre, bis die meisten Maschinen umgestellt sind.” Es ist nicht absehbar, wann dieser Prozess abgeschlossen wird. Aufgrund der Branchenbreite haben viele Unternehmen damit zu kämpfen, dass es derzeitig keine Industrie-weiten Standards für den Datenaustausch gibt. “Die Halbleiterhersteller haben diesen Standard geschafft, weil es deutlich weniger Player gibt. Der Leiterplattenmarkt ist viel stärker aufgefächert, allein in China gibt es mehr als 2000 Hersteller. Es ist auch schwer, die über die ganze Welt verstreuten Maschinenhersteller davon zu überzeugen”, erklärt Moitzi. Aufgrund eines bestehenden Drucks ist gewährleistet, dass sich die Branche immer stärker darauf einstellt. Der nächste Schritt sei es, mithilfe der Politik, die Gesellschaft auf die Digitalisierung vorzubereiten und eine Vision zu schaffen, an der neuen Zukunft teilhaben zu können.