Fraunhofer-Plattform zum digitalen Informationsaustausch von Werkstoffen

Autor: Duran Sarikaya
Datum: 29.04.2016

Materialkommunikation mit Maschinen

In der Zeit von Industrie 4.0 ist es wichtig, Grundlagen zur Digitalisierung und Materialforschung zu schaffen. Diese Grundlagen möchte nun das Fraunhofer Institut in einer neuen Plattform unternehmensübergreifend sammeln und Daten zu Werkstoffen und Materialien entlang der kompletten Wertschöpfungskette in digitaler Form zur Verfügung stellen. Durch die Vernetzung sollen neben lernenden Fertigungsverfahren auch kürzere Entwicklungszeiten und neue Geschäftsmodelle ermöglicht werden, als auch neue Potenziale für Recycling, Produktions- und Materialeffizienz geschaffen werden. Das Konzept namens Materials Data Space stellte der Fraunhofer-Verbund Materials unterhalb der Woche auf der Hannover Messe vor.

In der Entwicklung neuer und innovativer Produkte sind neue Werkstoffe Voraussetzung für das verarbeitende Gewerbe. Schätzungsweise 70 % aller neuen Erzeugnisse basieren bereits heute schon auf neuen Werkstoffen. Diese Entwicklung soll zudem die Möglichkeit schaffen, vermehrt nach Kundenwünschen individuelle Produkte zu erzeugen. Diese sollen zudem noch kostengünstig, mit hoher Qualität und bei kurzen Innovationszyklen geschaffen werden können. Um die Grundlage zu schaffen bündelte der Fraunhofer-Verband Materials die Kompetenzen von 15 materialwissenschaftlich orientierten Instituten der Fraunhofer-Gesellschaft und entwickelte daraus das Konzept Materials Data Space. „Der Materials Data Space stellt alle relevanten Informationen zu den Werkstoffen und Bauteilen digitalisiert in einer leistungsfähigen und unternehmensübergreifenden Plattform zur Verfügung“, erklärt Prof. Dr. Peter Elsner, Vorsitzender des Verbunds die Initiative. „Wir wollen es Entwicklern und Ingenieuren ermöglichen, die eingesetzten Werkstoffe in den jeweiligen Entwicklungsschritten als variable Systeme mit einstellbaren Eigenschaften zu begreifen und zu nutzen“, ergänzt Elsner.

„Fraunhofer stellt auf Basis des Industrial Data Space eine weitere zentrale Säule für eine erfolgreiche Industrie 4.0 bereit. Im Industrial Data Space schaffen wir einen sicheren Datenraum für Wertschöpfungsnetzwerke. Mit dem Materials Data Space fügen wir die Material- und Werkstoffdaten der an der Wertschöpfung beteiligten Instanzen hinzu“, sagt der Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft, Prof. Dr. Reimund Neugebauer, und führt weiter aus: „Die Entwicklung neuer Materialien, die fit für Industrie 4.0 sind, wäre ein entscheidender Wettbewerbsvorteil für die deutsche Industrie. Denn der Materialkostenanteil liegt im verarbeitenden Gewerbe zwischen 35 und 55 Prozent des Bruttoproduktionswertes und damit deutlich höher als beispielsweise der Energiekostenanteil.“

Durch Materials Data Space werden beispielsweise Daten zu einem Werkstoff durchgängig über den gesamten Lebenszyklus zur Verfügung gestellt. So wird dem Nutzer eine transparente Einsicht ermöglicht. Zudem werden die dynamischen Materialeigenschaften in Echtzeit erfasst und in die Plattform integriert. „Wir bringen die Werkstoffe zum Sprechen. Sie können uns zu jedem Zeitpunkt ihre Eigenschaften mitteilen. Diese Informationen stehen im Materials Data Space zur Verfügung und helfen beispielsweise, den Materialverbrauch zu senken, die Entwicklung neuer Werkstoffe zu beschleunigen, den Herstellungsprozess zu optimieren, Lebensdauer und Zuverlässigkeit zu steigern oder zu erkennen, bei welchen Produkten sich das Recycling lohnt“, erklärt Prof. Dr. Ralf B. Wehrspohn, der das Projekt koordiniert. „Die Materialien und Werkstoffe sagen uns beispielsweise: Ich bin noch fünf Jahre lang voll belastbar, erst dann treten Ermüdungserscheinungen auf. Wenn man Element A, das in mir steckt, durch Element B ersetzt, kann ich bei viel niedrigeren Temperaturen hergestellt werden. Oder aber: Ich bin hierfür nicht mehr zu gebrauchen, aber meine Eigenschaften qualifizieren mich perfekt zur Weiterverarbeitung als X“, beschreibt er die Idee.

Um Werkstoffe digital abbilden zu können, müssen Kenntnisse über ihre Mikrostrukturen gesammelt werden. Ziel der Forscher ist es diese in digitale Materialmodelle umzusetzen und so den Startpunkt für durchgängige Prozesskettensimulationen zu gestalten. Dabei kann die Plattform als Baukasten für Experten für Material- und Werkstoffinnovationen oder sogar zu –optimierung für neue Module dienen. Neben Angaben zur Mikrostruktur werden auch Informationen von Werkstoffen und Bauteilen, welche mit sensorischen Eigenschaften versehen sind, gesammelt und in den Materials Data Space eingepflegt. Durch diese Funktion erfassen sie ihren aktuellen Zustand selbstständig, beispielsweise den Abnutzungszustand, und geben diese Information an die Maschine weiter. Daraufhin kann diese dann entsprechend reagieren.

Zudem berücksichtigt das neue Konzept Daten von adaptiven Bauteilen, welche sich aufgrund der selbstgesammelten oder der vom Gesamtsystem signalisierten Belastungssituation anpassen. Dadurch sollen lernende Fertigungsverfahren entstehen, in denen die Prozesse stets optimal auf die Eigenschaften des jeweilig eingesetzten Materials angepasst werden. Zudem können die Daten selbst zur Grundlage neuer Geschäftsmodelle werden.

Zahlreiche Unternehmen, darunter auch Mittelständler, haben bereits ihr Interesse an einem Use-Case zum Aufbau und zur Nutzung der Plattform zu verstehen gegeben. Aufgrund dessen sollen zunächst drei Pilotprojekte im Bereich der Automobilindustrie gemeinsam mit Industriepartnern erfolgen. Dabei soll es konkret um Faserverbundwerkstoffe, Metalle und Funktionsmaterialien und deren Recycling gehen.